Seit fast zwei Jahren war ich jetzt nicht in Bangladesch…nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil das Reisen durch diesen Virus unmöglich oder wenigstens unvernünftig war und ist.
Mir bleibt nichts außer der Blick von ‚außen‘, die ständige Suche nach Neuigkeiten aus diesem Land, das mir so ans Herz gewachsen ist. Aber was ich von Deutschland aus mitbekomme finde ich persönlich mehr als beunruhigend…
Als wir in Deutschland 2019 den ersten Lockdown verordnet bekommen haben, wurden verschiedene Minister in Bangladesch in den dortigen Zeitungen mit Äußerungen wie „dieses Virus kann uns nichts anhaben, wir sind ja Muslime!“ zitiert.
Als dann doch die ersten Covid-Fälle in Bangladesch bekannt wurden, wurde der Flugverkehr eingestellt und zehntausende von gläubigen Muslimen sammelten sich erstmal auf einem großen Platz zum Gebet.
Dann wurde auch in Bangladesch ein erster Lockdown angekündigt – und Massen von Menschen drängten sich erstmal auf Bahnhöfen, auf Fähren und in Bussen, um noch schnell vorher zu ihren Lieben aufs Land zu fahren. Alle dicht an dicht, die meisten ohne Maske oder sie trugen sie als eine Art Kinnschutz.
Der Lockdown selbst war strikt, alles war komplett geschlossen. Ich sah Szenen, wie Rikscha-Fahrer zusammengeknüppelt wurden, weil sie trotz Ausgangssperre versuchten ihre Arbeit zu machen. Sie hätten doch sonst nichts zu essen, sagten sie – aber die Polizisten knüppelten erbarmungslos weiter. Gleichzeitig erreichten mich Meldungen aus den ländlichen Gebieten: Die Leute durften ihre Ernte nicht einholen, litten an Hunger. Viele NGOs versuchten, sie mit Nahrungs- und Hygienemitteln zu versorgen, weil staatliche Hilfe im Hinterland nicht ankam. Ganze Häuser wurden mit Desinfektionsmittel eingesprüht. Manche Helfer trugen astronauten-ähnliche Schutz-Anzüge, andere nicht mal eine Maske. „Es ist alles sehr chaotisch, provisorisch“ wurde mir von verschiedenen Hilfsorganisationen berichtet.
Immer wieder hab ich versucht, die Stimmung in Bangladesch einzuholen. Die Aussagen waren völlig unterschiedlich, von panisch bis unbekümmert. „Bei uns ist es ja nicht so schlimm wie bei Euch, das zeigen ja unsere Zahlen“, hab ich von verschiedenen Bekannten gehört. Und auf meinen zaghaften Einwand, dass die Infektionszahlen womöglich nicht vergleichbar sind, weil in Bangladesch nicht getestet und womöglich auch die Zahlen der Intensivpatienten in Krankenhäusern nicht veröffentlicht werden, bekam ich zwar Zustimmung, aber mehr nicht. Je nach Gegend wurden die Lockdown-Auflagen auch schnell nur noch sehr lax umgesetzt oder sogar völlig ignoriert. Der Alltag lief schnell wieder normal ab, selbst Inlands-Reisen waren für bangladeshi möglich. Nur die Schulen blieben weiter geschlossen.
Dann kursierte plötzlich ein Video, ein verzweifelter Aufschrei eines Arztes aus einem Krankenhaus in Dhaka. Er sei jetzt seit 48 Stunden im Einsatz, völlig am Ende. Und wie ihm ginge es eigentlich allen Krankenhausmitarbeitern, sofern sie überhaupt noch arbeiten könnten und nicht durch Covid ausgeknockt seinen. Alle Betten seien besetzt, manche sogar doppelt. Es fehle an allem, die Sauerstoffversorgung könne nicht mal für die schwersten Covid-Patienten gewährleistet werden, die Patienten türmten sich geradezu, sogar auf den Gängen. Sie hätten das Krankenhaus jetzt verbarrikadiert, Keiner dürfe mehr rein. Und jeder Appell an die Regierung um Unterstützung oder Medikamente ginge ins Leere. Er wisse sich nicht mehr zu helfen…
Gleichzeitig bemerkte ich vor allem bei engeren Freunden eine starke Veränderung: Mir fiel auf, dass selbst Frauen in der Öffentlichkeit oder sogar auf Familienfotos plötzlich nur noch verschleiert auftraten, die vorher nie die Haare bedeckt hatten. Auch religiöse Floskeln wie „Alhamdulillah“ (gelobt sei Gott) und der Hinweis, dass sie gleich zum Gebet müssen, tauchten plötzlich selbst in persönlichen Chats auf. Auch von Freunden, von denen ich sicher weiß, dass sie vor Corona keine praktizierenden Muslime waren. Darauf angesprochen bekam ich die Aussage, dass Covid eine Katastrophe sei, die nur Allah allein abwenden könne und auch nur für Gläubige. Deshalb sei es wichtig, in sich zu gehen und das Virus mit tiefer Gläubigkeit zu bekämpfen. Versteht mich nicht falsch, ich habe kein Problem mit gläubigen Muslimen. Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass das Virus zur Panikmache und für eine Art Gehirnwäsche missbraucht wurde – und das macht mir Angst.
Am 12 September 2021 haben in Bangladesch die Schulen wieder geöffnet. Nach 543 Tagen! Klar gab es auch während der Schließung an manchen Schulen online-Unterricht, aber diese Möglichkeit konnten nur sehr wenige Familien, nämlich die besser Situierten, nutzen. Die Tochter einer Freundin zum Beispiel wäre eigentlich schon im letzten Jahr eingeschult worden. Sie hat im Online-Unterricht zwar schon einiges gelernt, aber was ihr völlig fehlt ist die Interaktion mit anderen Schülern, die Möglichkeit zuzuhören, zu teilen, andere Meinungen mitzubekommen und Freundschaften zu schließen.
Diese Eindrücke und Informationen haben mich oft erst zeitverzögert erreicht. Zwei Jahre lang war ich völlig hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl, gerade jetzt unbedingt in Bangladesch sein zu müssen und über all die Entwicklungen zu berichten und der Tatsache, dass ich entweder gar nicht einreisen dürfte oder aber auf keine Fall im Land reisen dürfte – und dadurch meine Eindrücke auch nur bedingt authentisch wären. Und ja, mir war auch nicht wohl in ein Land zu reisen, dass so unkoordiniert und aus meiner Sicht auch falsch auf Covid19 und allem was damit zusammenhängt reagiert hat.
Aber eins ist auch klar: Sobald es irgend möglich und sinnvoll ist, werde ich zurück kommen. Und ich bin gespannt, welches Bangladesch ich dann vorfinde.