Die Abwrackhäfen von Chittagong – bisher hab ich sie nur vom Flugzeug aus gesehen. Aber es hat mich schon immer gereizt, das Zerlegen der riesigen Hochseetanker, Container- und Kreuzfahrtschiffe mal direkt zu sehen. Nicht nur, weil das beeindruckend sein muss, sondern auch, weil die Arbeiter dort unter denkbar gefährlichen Bedingungen arbeiten und das ist für mich natürlich auf jeden Fall eine Story wert!
Um es vorweg zu nehmen: Das Abwracken selbst hab ich immer noch nicht gesehen. Denn als ich im November 2019 vor Ort war, musste ich mich entscheiden: Zwischen sehen und hören…Okay, das ist jetzt etwas kryptisch, also, ich erklär’s mal genauer:
Ich war mit Jürg unterwegs, einem befreundeten Fotografen aus der Schweiz, der schon seit Jahren nach Bangladesch reist, um Fotos von Abwrackhäfen und diesem fazinierendem Mensch-Maschine-Gegensatz zu machen. Und wir hatten die Idee, dieses Thema – den gefährlichsten Job der Welt – gemeinsam an Zeitungen zuzuliefern. Also er die Fotos, ich die Geschichte. Weil es aber zum einen verboten ist, die Abwrackhäfen als Außenstehender zu betreten, geschweige denn Fotos und Interviews zu machen, haben wir andere Lösungen gesucht. Das war nicht leicht! Denn es war klar: Keine Reederei und kein Abwrackunternehmen hat Interesse daran, dass die unzulänglichen Arbeitsbedingungen in den Medien thematisiert werden. Arbeiter, die mit Journalisten sprechen, verlieren garantiert ihren Job und es soll sogar vorgekommen sein, dass zu gesprächige Abwracker spurlos verschwunden sind.
Aber wir haben es dank unseres Netzwerks doch geschafft: Jürg hat sich ein kleines Boot gemietet, ist mit dem von Seeseite her ganz nah an die abwrackbereiten Metallriesen herangefahren, die wie gestrandete Wale am Strand von Chittagong liegen, und hat wie wild fotografiert. Und auch ich hab tatsächlich zwei Abwrack-Arbeiter gefunden, die sich heimlich mit mir für Interviews treffen wollten. Aber leider war das eben nur zeitgleich möglich. Also nutze Jürg die Ebbe und das gute Licht für Fotos, während ich über Handy von einem unbekannten Ansprechpartner zu einem konspirativen Treffen gelotst wurde.
Mein erster Gesprächspartner, Sumon, wirkt ziemlich angespannt. Er zupft ständig an den Ärmeln seines roten Hemds herum oder kratzt sich am Bart. Deshalb frage ich ihn vor dem Interview nochmal, ob er sicher sei, dass er mit mir reden wolle. Er schaut mich zum ersten Mal direkt an. Er nickt. „Ja, sonst verbessert sich ja nie was.“ Er zupft jetzt nicht mehr, sondern erzählt einfach: „Um ein Schiff zu zerlegen, braucht es drei Monate und etwa 100 oder 200 Leute. Die werden in Gruppen aufgeteilt, also Gruppe A macht die eine Arbeit, Gruppe B die andere, das vermischt sich nicht. Und das ist neu. Der Grund dafür ist, dass so alles schneller geht. Vorher, als jeder noch alles gemacht hat, hat es viel länger gedauert, da wurde erst alles langsam abmontiert, dann wurden die Teile an Land gezogen, dann verkauft, das hat unglaublich lange gedauert. Aber seit jetzt dieses Gruppensystem eingeführt wurde, also dass die einen zum Beispiel nur Metallplatten zersägen, andere die Schiffsschraube an Land ziehen und jeder genau weiß, wo er eingeteilt ist, seither braucht es viel weniger Zeit.“
Er selbst sei vor allem Eisenschneider und bearbeitete die Metallplatten im Schiff von innen her mit einem autogenen Brennschneider. Ich hab mal im Netz geschaut, so ein Brennschneider arbeitet mit Sauerstoff, der entzündet wird und dann Metall quasi schmilzt und sieht so aus:
Bevor die Eisenschneider loslegen, erklärt Sumon, müssen alle Tanks und alles Brennbare aus dem Schiff entfernt werden, sonst fliegt einem alles um die Ohren. Aber dann klettern er und die anderen auf dem Schiff herum und schneiden es quasi von innen her auf. Das sei ziemlich riskant, meint er, und man müsse höllisch gut auf sich aufpassen. Denn die Arbeiter klettern meistens ungesichert auf dem Schiff herum und auch sonst seien die Sicherheitsbestimmungen eher lax.
„Vorher haben wir tatsächlich in Lunghi, also dem traditionellen Hüfttuch und Flipflops gearbeitet. Aber kürzlich hat die Regierung ein Gesetz erlassen, dass wir das nicht mehr tragen dürfen. Also Helm und Schutzanzug sind jetzt Pflicht. Aber schau mal hier….“
Er zeigt mir seine Hände, Arme, die Schulter, den Hals. An vielen Stellen hat die Haut Narbenwülste oder ist dunkler…Spuren von Verbrennungen

„Diese Verbrennungen hab ich vom Metallschneiden. Selbst wenn du den Schutzanzug trägst geht das durch. Ich glaube halt, diese Overalls sind nicht die beste Qualität. Wir haben jetzt auch Brillen, Sonnenbrillen, die schützen unsere Augen ein bisschen. Also wenigstens kriegen wir die Feuerfunken jetzt nicht mehr in die Augen, aber die fliegen halt überall rum, gehen an alle Stellen des Körpers. Vielleicht wären zusätzliche Gesichtsmasken besser, aber das wird hier nicht verteilt, wir müssen halt nehmen, was sie uns ausgeben.“
Sonnenbrillen bei Schweißarbeiten? Nicht mal richtig Schutzbrillen? Das erklärt für mich, warum so viele Arbeiter mit rot-geäderten, entzündeten Augen rumlaufen. Sumon lacht bitter. Richtige Schweißerbrillen könnten sie sich ja auch gar nicht leisten. Ich stutze. Wieso leisten? Das zahlt doch der Betrieb? Oder?
„Normalerweise müssen wir die ganze Schutzausrüstung bezahlen, wenn wir den Lohn ausgezahlt bekommen. Da hat sich noch nicht viel dran geändert. Manche Companies geben uns auch etwas zusätzliches Geld statt der Ausrüstung. Von dem sollen wir dann die Sachen selbst kaufen. Aber das ist immer zu wenig Geld.“
Foto: Jürg Vifian
Foto: Jürg Vifian
Foto: Jürg Vifian
Gesetzlich vorgeschrieben sind neben der Schutzausrüstung neuerdings auch 90 Tage Sicherheitsschulung im Jahr, hab ich recherchiert. Trotzdem ist die Todesrate unter den Arbeitern nicht gesunken, 24 sind 2019 in Chittagong gestorben, hat die Hilfsorganisation ’ship breaking platform‘ in Brüssel herausgefunden, die sich seit Jahren für die Abwracker einsetzt. Sumon winkt ab. Er habe im vergangenen Jahr sowieso nur 3 Tage Sicherheitstraining bekommen und Unfälle sind nach wie vor auf der Tagesordnung
„Es gibt da zum Beispiel diese dicken Seile, die die Schiffe oder große Eisenteile an Land ziehen. Manchmal reißen die und wenn das passiert ist das eine Katastrophe, dann werden auf einen Schlag unglaublich viele Menschen verletzt.“
Jetzt schaltet sich auch mein zweiter Gesprächspartner ein, Shahidul. Neben Sumon wirkt er etwas untersetzt, aber auch er hat sehnige Oberarme.
„Wenn wir krank werden, also Fieber kriegen, Kopfschmerzen oder irgendeine andere Krankheit, dann hilft die Firma nicht, da gibt’s keinerlei Unterstützung. Nur wenn wir auf dem Gelände verletzt werden, also durch die Arbeit, die wir da machen, dann hilft der Betrieb. Der zahlt dann die Medikamente und die Arztkosten. Aber wenn wir ein Bein oder irgendein anderes Körperteil durch die Arbeit verlieren, dann kriegen wir zwar eine kleine Entschädigung für die nächsten paar Tage, darüber hinaus übernehmen sie überhaupt keine Verantwortung.“
Er arbeitet seit er 16 ist in den Werften, erzählt er. Er sei jetzt 32 und habe schon in verschiedenen ’ship breaking yards‘ gearbeitet.
„Wenn ein Schiff in der Werft liegt, dann geh ich jeden Morgen um 8 Uhr hin und komm um 5 wieder zurück. Und wenn es mal keine Arbeit am Schiff gibt, weil gerade keins anliegt, dann machen wir ‚ground work‘, Bodenarbeit, da fangen wir dann auch um 8 an, kommen aber erst so um 7 oder 8 wieder heim. Deshalb arbeiten wir auch nicht jeden Tag, das schafft niemand, dazu ist der Job zu anstrengend. Es liegt ja immer Roststaub und der Geruch von Gas in der Luft in den Abwrackzonen. Und das hält gesundheitlich kein Mensch 30 Tage im Monat durch. Das heißt, wir arbeiten vielleicht 15 oder höchstens 20 Tage. Und die Bezahlung liegt bei 350 Taka für 8 Stunden.“
350 Taka. Das sind gerade mal 3,50 Euro. Und die werden auch nicht direkt ausgezahlt, sondern immer am 5. und am 20. eines Monats. Weil neuerdings jeder Arbeiter eine digitale Stempelkarte hat und die Software die Arbeitszeiten zusammenrechnet.

Foto: Jürg Vifian
Während die beiden erzählen drängt sich mir immer wieder eine Frage auf: Warum um Gottes Willen tut man sich das an? Shahidul zuckt resigniert die Schultern:
„Warum ich angefangen habe? Meine Familie war damals in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten, hochverschuldet. Und ich hatte ja keine Ahnung, von nichts. Und dann bin ich halt zu den Yards. Der Vorteil dort ist halt: die fragen nicht nach einem Ausweis. Das ist schon eine Art Freiheit, weil man wirklich überall hin kann zum Arbeiten. Wenn ich irgendwo anders arbeiten wollte, in der Industrie zum Beispiel, dann brauch ich überall Beziehungen. In den meisten Jobs dort muss man erstmal die Beamten schmieren .Und ich hatte damals weder Geld noch einen Ausweis. Deshalb hab ich in den Werften angefangen.“
Eigentlich dreht sich seither fast alles in seinem Leben um die ship breaking yards, meint Shahidul, streicht sich über die Augen und schüttelt den Kopf. Fast so, also ob ihm das gerade erst richtig bewusst wird. Er lebe mit seiner Familie in einer Hütte gleich in der Nähe, fußläufig. Im Moment versorge er die große Familie allein, also seine Eltern, Frau, Kind und den Bruder. Sein Vater hatte schon als Abwracker gearbeitet, jetzt sei er aber zu alt. Und der Bruder verletzt – und ja, der arbeite sonst auch in den Abwrack-Häfen. Shahiduls Stimme klingt jetzt monoton, frustriert und sein ganzer Körper ist zusammengesackt, als ob jemand die Luft rausgelassen hätte. Das ändert sich aber als ich ihn frage, wie er sich die Zukunft für seinen zweijährigen Sohn vorstellt
„Wenn mein Junge älter wird, will ich ihn NIE bei den Abwrackhäfen sehen! Er soll nicht mal in die Nähe kommen. Ich möchte, dass er zur Schule geht und seine eigene Zukunft selbst in der Hand hat. Er soll auf keinen Fall zu den Werften und diesen Job machen, ich will was besseres für ihn. Er soll lernen, eine Ausbildung kriegen und dann eine gute Arbeit finden. Klar, man kriegt hier gutes Geld. Aber ich möchte meinen Sohn lieber schlechter bezahlt sehen als hier arbeiten. Es ist einfach lebensgefährlich hier“
Fortsetzung folgt